Zimmer mit Aussicht

Nach seinem Umbau präsentiert sich das Arnheimer Museum schöner und größer als zuvor
Museum Arnheim, Blick auf den neuen Seitenflügel und die "Tribüne", Foto: Jannes Linders

Veröffentlicht in: LUXEMBURGER WORT, 16.6.22

Zweifelsohne ist der neue, zum Teil freischwebende Seitenflügel die Hauptattraktion des Arnheimer Museums für Moderne Kunst. Der Panorama-Blick aus dem Eckfenster auf den Rhein und seine Auen ist von hier aus einfach umwerfend! Schaut man angestrengt nach links, ist in der Ferne sogar die legendäre Brücke zu erkennen, die während der „Schlacht um Arnheim“ im September 1944 strategische Bedeutung erlangte. Der Seitenflügel wurde an einen steilen Hang gebaut. Ein risikoreiches Unterfangen, wenn man bedenkt, dass sich der Ort aus einer Gletschermoräne der vorletzten Eiszeit vor circa 150 000 Jahren entwickelt hat und eine Lösung gefunden werden musste, um auf diesem Fundament überhaupt zu bauen. Nur durch den Einsatz einer Spezialtechnik aus dem Brückenbau ist es gelungen, den Hang nicht zu belasten. In zwei Phasen wurde anhand zweier Gleitschienen eine 750 Tonnen-Stahlkonstruktion Zentimeter für Zentimeter nach vorne geschoben, sodass sie nun zum Rhein hin 15 Meter über die Moräne hinausragt. Eine neuerliche Glanzleistung niederländischer Baukunst und ein echter „Cliffhanger“, wie Saskia Bak, seit 2015 Direktorin des Hauses, das Gebäude anlässlich seiner Wieder-Eröffnung im Mai kommentierte. Bis dahin hatte der Neu- und Umbau sechs Jahre beansprucht und 23 Millionen Euro verschlungen.

Seit 7 Jahren dabei: Museumsdirektorin Saskia Bak, Foto: Eva Broekema
"Zimmer mit Aussicht", Foto: Cornelia Ganitta
Neu gestalteter Kuppelsaal, Foto: Cornelia Ganitta

Schlichter Klippenhänger

Benthem Crouwel Architects gingen als Gewinner aus dem vorgeschalteten Architektenwettbewerb hervor. Gegen vier Mitbewerber konnte sich das Amsterdamer Büro, das auch schon für das Stedelijk Museum in Amsterdam, das Anne Frank Huis sowie den Rotterdamer Hauptbahnhof verantwortlich zeichnete, durchsetzen. Seine Vision von einem „schlichten“ Klippenhänger überzeugte, trotz der widrigen Umstände. Zur Unterscheidung auf den ersten Blick – dort altes Gebäude hier erweiterter Neubau –, wurde die Flügel-Fassade mit 82 000 handgebrannten zehn Mal zehn Zentimeter kleinen, erdfarbenen und eisblauen Fliesen verkleidet, was auf den Übergang von der Veluwe zur Flusslandschaft der Betuwe verweist. Vor allem bei Sonnenlicht fügt sich das Gebäude so nahtlos in die Natur ein.

Der Neubau weist eine weitere Besonderheit auf: die Treppe in den Garten präsentiert sich als Tribüne, die auch ohne Museumsticket zum Verweilen einlädt. Von hier aus hat man eine schöne Sicht auf den mit Skulpturen bestückten Garten. Durch die Ausweitung des Gebäudes wurde die Ausstellungsfläche um 550 Quadratmeter auf jetzt 1935 Quadratmeter erweitert. Von den fünf neuen Sälen haben Besucher immer wieder spektakuläre Ausblicke in die Umgebung. Der ursprüngliche sechseckige Kuppelsaal, der im späten 19. Jahrhundert als Herrenclub diente, bildet das Herzstück des alten Kern-Gebäudes. Er wurde umfassend saniert und beherbergt neben einem Museumsshop auch das nach Pierre Janssen, einem der wegweisenden ehemaligen Direktoren benannte „Café Pierre“. Während der Renovierung des Saales wurden einige historische Elemente wiederhergestellt. Fenster gewähren überdies den Blick nach draußen. Über die Türen gelangt man nun direkt auf die Terrasse, auf der man seinen Kaffee umgeben von Kunst genießen kann.

Kunst im Park, Foto: Cornelia Ganitta
Kunst im Park, Foto: Cornelia Ganitta

Neorealistischer Schwerpunkt

Bekannt ist das Haus, das als Museum erstmals 1920 in Erscheinung trat (nachdem es im Ersten Weltkrieg als Flüchtlingslager und Garküche herhalten musste), vor allem für seine große Sammlung neorealistischer Kunst aus dem frühen 20. Jahrhundert, mit Werken von unter anderen Carel Willink, Pyke Koch oder Dick Ket, allesamt Vertreter des niederländischen Neo-Realismus. In der Vergangenheit hatte das Museum immer wieder Sonderschauen zur Neuen Sachlichkeit im Programm, so zum Beispiel zu Otto Dix im Jahr 2010. sollen die Bilder künftig, laut Saskia Bak, „in wechselnden Ausstellungen in einen aktuellen, gesellschaftliche Fragen aufgreifenden Kontext gestellt werden“. Die aktuelle Schau „Von links nach rechts“ markiert hierbei den Anfang. Darin geht es um den Einfluss politischer Polarisation auf Kunst und Künstlerkarrieren des Interbellums, der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Künstlern, die mehr rechts orientiert waren – wie Koch und Willink – werden solche gegenübergestellt, die wegen ihrer linkspolitischen Einstellung damals aus dem kunstgeschichtlichen Raster herausgefallen waren, darunter Harmen Meurs, Nola Hatterman und die Jüdin Berthe Edersheim, die Mitglied des sozialistischen Künstlerkreises war. „Nun, da auch unsere Gesellschaft von Polarisierung geprägt ist, ist es an der Zeit, auf die Hauptzeit des Neorealismus, die Zwischenkriegszeit, zurückzublicken, die auch von einem erbitterten politischen Klima geprägt war“ heißt es hierzu im Begleittext zur Ausstellung.

neu gestalteter Außenbereich mit Terrasse und Zugang zum Kerngebäude, Foto: Cornelia Ganitta
Kunst im Park, Foto: Cornelia Ganitta

Wie in Deutschland Otto Dix und George Grosz, engagierten sich auch in den Niederlanden viele Neorealisten sozial. Sie setzten sich für die Arbeiterklasse ein und stellten sich gegen Kapitalismus, Kolonialismus, Sexismus und Rassismus. Charley Toorop zum Beispiel verkehrte in linken Kreisen, ebenso wie Johan van Hell oder Harmen Meurs, der sich vehement gegen den Aufstieg von Faschismus und Nationalsozialismus in Europa aussprach. Ihre Gemälde sind denen solcher Künstler gegenübergestellt, die wie Pyke Koch eher rechts orientiert waren. Dieser schloss sich während des Zweiten Weltkriegs der vom deutschen Besatzer ins Leben gerufenen Kulturkammer an, was als ein Akt der Kollaboration gewertet wurde. Deshalb geriet er in Verruf und war nach dem Krieg so gut wie vergessen. Auch die Jüdin Berthe Edersheim (1901-1993), die Mitglied des sozialistischen Künstlerkreises war, war schnell vergessen – wenngleich aus einem anderen Grund. In der Ausstellung ist sie mit einem Selbstportrait von 1932 vertreten. Es zeigt sie selbstbewusst im knallroten Overall, mit Pinsel und Farbpalette in der Hand. Edersheim entdeckte ihr malerisches Talent schon in jungen Jahren, als sie bei Charley Toorop und Harmen Meurs in die Lehre ging. Indem sie Letzteren, einen Nicht-Juden, 1939 ehelichte, entkam sie ihrer eigenen Verfolgung. Während der Besatzungsjahre verschwanden sie – wie viele andere Neorealisten auch – von der Bildfläche und nahmen auch danach kaum noch am niederländischen Kunstgeschehen teil.

Flankiert wird die Haupt-Schau von zwei weiteren Ausstellungen. „Mindestens haltbar bis“ befasst sich mit der Frage, ob und wie Kunst einen Beitrag zu Fragen der Nachhaltigkeit leisten kann. Rund 200 Werke bezüglich der Ausbeutung des Planeten sind zu sehen, aus der eigenen Sammlung ebenso wie als Leihgaben. In „Open“ experimentiert das Museum mit neuen, interaktiven Techniken, die dazu ermuntern sollen, Kunstwerke anders zu erleben, zum Beispiel durch Spiegel oder Virtual Reality-Brillen. In seiner schwarz-weißen Videoinstallation „Staging Silence“ zeigt der renommierte belgische Künstler Hans Op de Beeck, wie Imagination funktioniert: Vor den Augen der Zuschauer verwandeln sich Plastikflaschen, Schokoriegel und Zuckerwürfel in Wolkenkratzer, eine Straßenszene und eine Skyline. Beleuchtung und verträumte Musik rufen eine dramatische und mysteriöse Atmosphäre hervor. Mit seinen theatralischen Inszenierungen schärft Op de Beeck das Verhältnis von Realität und Illusion. Wer bis zum Ende des rund zwanzigminütigen Videos bleibt, erlebt, wie diese Zuckerstadt wieder in sich zerfällt.

Ausstellungen: „Von links nach rechts“ bis 23.11.22, „Mindestens haltbar bis“ bis 9.1.23 und „Open“ bis 1.1.24, Adresse: Museum Arnhem, Utrechtseweg 87, 6812 AA Arnhem, Di bis So, 11-17 Uhr, Eintritt: 15 Euro. Internet: www.museumarnhem.nl

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