Zum Geburtstag: Doppel-Schau für Erwin Olaf in Den Haag

Foto: Erwin Olaf, Squares, Pearls, 1986

Veröffentlicht: NRZ, 18. März 2019 

Erwin wird 60. An sich nichts Spektakuläres. Es sei denn, man heißt Erwin Olaf und rühmt sich, ein Aushängeschild der Niederlande zu sein. Dort zählt Olaf – neben Anton Corbijn und Rineke Dijkstra – zur Elite der gegenwärtigen, holländischen Fotokunst. Seit einigen Jahren verdingt sich Olaf darüber hinaus als „Hoffotograf“ der niederländischen Königsfamilie. Seine neueste Portrait-Reihe, die anlässlich der fünfjährigen Regentschaft von Willem Alexander entstand, zeigt die Oranjes beschwingt und fröhlich, wie auf dem Laufsteg für Familien posierend und ist nun in Den Haag zu sehen.

Doch nicht nur die. Der runde Geburtstag in diesem Jahr (2. Juli) ist Anlass für gleich zwei Haager Museen, dem Fotografen eine große Werkschau zu widmen. So zeigt das Gemeentemuseum Olafs Serien ab dem Jahr 2000, während das benachbarte Fotomuseum frühe Bilder von den Anfängen in den 80ern ausstellt. Man Ray, Robert Mapplethorpe und Helmut Newton zählen hier zu den ebenfalls präsentierten Vorbildern des jungen Wilden, der sein Journalistik-Studium zugunsten seiner eigentlichen Berufung, der Fotografie, an den Nagel hängte. Als homosexueller Skandalfotograf, der sich und seine Szene schon mal mit reichlich Sperma ablichtete, war Olaf zunächst selbst den als liberal bekannten Niederländern suspekt. Das änderte sich, als Olaf verantwortlich zeichnete für die Werbekampagnen großer Unternehmen wie Microsoft, Louis Vuitton und Nokia. 2004 wurde der gebürtige Hilversumer im holländischen Fernsehen in die Liste der Größten Niederländer (De Grootste Nederlander) gewählt. 2011 erhielt er den mit 100.000 Euro dotierten Johannes Vermeer-Preis. 2013 entwarf Olaf eine niederländische Euromünze mit dem Konterfei von König Willem-Alexander. 2016 kuratierte der Tausendsassa die Schau „Catwalk“ für das Rijksmuseum. Nur zwei Jahre später setzte er seinem persönlichen „Goldenen Zeitalter“ einen weiteren Meilenstein, in dem er just diesem, wohl renommiertesten aller holländischen Museen, 500 Objekte – darunter Abzüge, Videos, Magazine und Bücher – vermachte. Dort hängen oder lagern sie sie nun als ein weiteres niederländisches Kulturerbe, neben Rembrandt und Vermeer.

Erwin Olaf (re) im Gespräch mit einem Journalisten, Foto: Cornelia Ganitta
Skulptur "Eine Armlänge Abstand", Erwin Olaf, Foto: Cornelia Ganitta

„Eine Armlänge Abstand“

Als in den 90er Jahren die digitale Fotografie Einzug in die Kunst nahm, sprang auch Erwin Olaf auf den Zug. Ursprünglich analog arbeitend, entwickelte sich der Fotojournalist zu einem digitalen Bildmacher und Geschichtenerzähler, der heute überwiegend frei, also ohne Auftrag arbeitet. Auch wechselte er wie viele andere – man denke nur an die Düsseldorfer Schule rund um Gursky, Struth, Höfer und Kollegen – zum Großformat. „Ich habe angefangen als traditioneller Schwarz-Weiß-Fotograf, mit der Hasselblad-Kamera in der Hand“, sagt der Wahl-Amsterdamer. „Heute mache ich auch 3D-Fotografie, kombiniert mit klassischen Drucktechniken, aber auch mit Filmen in Zeitlupe, im Feature- oder sogar Spielfilm-Stil“.

Vereinzelt gehören auch persiflierende Skulpturen und Installationen zum Oeuvre des Fotografen. In der Ausstellung weist eine übergroße, nackte „Rubensfrau“ ihr Gegenüber mit „einer Armlänge Abstand“ in die Schranken, angelehnt an den Tipp der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker im Umgang mit (sexuellen) Übergriffen in Folge der Silvesternacht 2015/16. Weitere Arbeiten zu den Attentaten auf das Satire-Magazin Charlie Hebdo sowie den Pariser Musikclub Bataclan zeigen, dass Olafs Themen oftmals soziologisch oder politisch motiviert sind.

Erwin Olaf, Hope, The Hallway, 2005. © Erwin Olaf, Courtesy Hamiltons Gallery, London / Edwynn Houk Gallery, N.Y.
Erwin Olaf, Rain, The Ice Cream Parlour, 2004. © Erwin Olaf. Courtesy Hamiltons Gallery, London / Edwynn Houk Gallery, N.Y.

Nachtleben in Berlin

Auch Einsamkeit ist ein wiederkehrendes Sujet. In der Serie „Hope“ hockt eine vermeintlich biedere Hausfrau, allein in einer Küche der 50er Jahre und starrt in die Leere. In einem Hotelflur steht ein Paar, dessen Blicke erahnen lassen, dass es sich offensichtlich nichts mehr zu sagen hat. Bilder, die in ihrer Anordnung Assoziationen wecken an die von Einsamkeit geprägte Malerei Edward Hoppers. In der Serie „Shanghai“ sind es Individuen, die versuchen, der Einsamkeit einer 24 Millionen Einwohner zählenden Metropole oder auch globalisierten Welt zu entfliehen. Diese Fotos wiederum erinnern an den (wunderbaren!) Wong Kar-Wai-Film „In the Mood of Love“, der im Hongkong der 60er Jahre spielt. Zwei weitere Serien sind Bestandteil der Städte-Trilogie. Darunter „Berlin“, dessen Zeit zwischen den Weltkriegen Olafs besonderes Interesse gilt, wie unter anderem seine Portraits von alten Huren in Otto Dix-Manier belegen. „Berlin während des Interbellums war bekannt für sein Nachtleben, seine Freiheit und seine Verschiedenheit. Das habe ich versucht, in die Serie zu integrieren mit einem Dreh in unsere Zeit“, kommentiert der Wahl-Amsterdamer.

Zerplatzter Traum Amerika

Die reiche Wüstenstadt „Palm Springs“ schließlich rundet den Zyklus ab. Erst im Herbst 2018 fertiggestellt, wurde die Serie kurzfristig in das Programm aufgenommen. In ihr prangert Olaf unter anderem den Klimawandel an, deutlich sichtbar an dem fast gelben Rasen, der den Pool der kalifornischen 60er-Jahre Villa einfasst. Ein zweites Bild zeigt ein trockenes Stück Erde, das an einen Windmühlenpark grenzt. In einem Baum im Vordergrund hängt ein zerfetzter Drachen, der bei näherem Hinsehen die US-Flagge darstellt. Davor stehen eine schwarze Frau und ein weißes Kind, angezogen wie in den 60ern. Rassismus, Umwelt und der Verlust von Werten im heutigen Amerika, sind die hier bestimmenden Themen.

In seinem Jubeljahr lässt Olaf, der an einer fortschreitenden Lungenkrankheit leidet, es ruhiger angehen. Zeit also für eine Bilanz: „Außenstehende meinen: Früher warst du so aggressiv, heute bist du so mild geworden“, resümiert er. „Was wollt ihr? Die 80er Jahre waren sehr aggressiv und aktivistisch. Da gab es die Hausbesetzer-Szene, die sexuelle Revolution, das Aufkommen von Aids, die Baader-Meinhof-Ära. Und ich war ein junger Mann, der die Welt verändern wollte. Aber nach deinem 40. wirst du doch `was beständiger und weiser. Vielleicht fotografiere ich deshalb heute milder. Das heißt aber nicht, dass ich nicht immer noch ein böser Junge bin.“

Die Doppel-Schau läuft noch bis zum 12. Mai 2019 in den genannten Museen, Stadhouderslaan 41 und 43, 2517 HV, Den Haag, Internet: https://www.gemeentemuseum.nl und www.fotomuseumdenhaag.nl

Erwin Olaf, Palm Springs, The Kite, 2018. © Erwin Olaf, Courtesy Hamiltons Gallery, London / Edwynn Houk Gallery, N.Y.

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