Nach uns die Sintflut

In seinem neuen Fotobuch dokumentiert Kadir van Lohuizen die Folgen der steigenden Meeresspiegel für den Menschen
Auch die friesische Insel Terschelling ist vom steigenden Meeresspiegel bedroht. Foto: Kadir van Lohuizen, 2019

VERÖFFENTLICHT IN: mare No. 146 (Juni/Juli 2021)

Kadir van Lohuizen gehört zu den rastlosen Fotografen seiner Generation. Für seine Reportagen aus Kriegs- und Krisengebieten erhielt er zahlreiche Preise, darunter mehrfach den renommierten World Press Photo Award. 2007 war er Mitbegründer der Fotoagentur NOOR Images in Amsterdam, wo er unter anderem als Dozent für Fotografie arbeitet. 1997 begann der Niederländer und fotografische Autodidakt, der von sich selbst sagt, „visuellen Recherche-Journalismus“ zu betreiben, ein Langzeit-Projekt, das ihn zu den sieben großen Flüssen der Erde brachte, um das Alltagsleben entlang dieser Lebenslinien zu dokumentieren. Es folgte der Bildband „Via Panam“ über die Migration in Nord- und Südamerika und eine Publikation über die (schlechte) Art und Weise, mit der sechs Mega-Cities ihren Müll entsorgen. 2005 erschien das Buch „Diamond Matters“, in dem er dem Weg der Diamanten von den Minen in Angola und Kongo bis in die Läden von New York folgte. Zuletzt hatte der Fotograf eine eigene Doku-Reihe im niederländischen Fernsehen sowie eine Ausstellung im Amsterdamer Schifffahrtsmuseum zu dem Thema, das ihn seit einigen Jahren am meisten umtreibt: dem Klimawandel.

50 Millionen Menschen auf der Flucht - allein in Bangladesch

Jetzt wartet van Lohuizen (Jahrgang 1963) mit einem neuen Fotobuch auf. „After Us the Deluge“ (Nach uns die Sintflut) heißt sehr treffend das englischsprachige Werk, das seinen Anfang mit einer Serie für die New York Times nahm. Der Untertitel „The Human Consequences of Rising Sea Levels“ weist auf die Thematik hin: wie wirkt sich der Klimawandel auf die Menschen aus, die vom steigenden Meeresspiegel bedroht sind. Dafür reiste van Lohuizen ab 2011 an Orte weltweit, die Gefahr laufen, von der Landkarte zu verschwinden: Jakarta, Fidschi, Papua-Neuguinea, das Guna Yala-Archipel in Panama, die Marshallinseln und viele mehr. Überall fotografierte er die Menschen, die im oder nah am Wasser leben, an Stränden, in Großstädten und oftmals im Dreck. Besonders dramatisch die Situation in Bangladesch, wo bis 2050 schätzungsweise 50 Millionen Menschen aus der Deltaregion abwandern müssen. Aber auch Miami Beach ist nicht davor gefeit, unterzugehen. Bis 2060 müsste dort – laut Prognose – die Stadt evakuiert werden, da hier der Anstieg des Meeresspiegels drei Mal höher ist, als im globalen Durchschnitt. Trotzdem verfolgt Florida eine unterverantwortliche Städtebau-Politik, da die Strände nach wie vor zugebaut werden. 

Kadir van Lohuizen präsentiert sein neues Buch "After Us the Deluge" im Schifffahrtsmuseum Amsterdam, Foto: Evelien Engele

Mit "Volldampf" Richtung Ozean

„Nach uns die Sintflut“ als reines Fotobuch zu beschreiben, wäre verfehlt. Ein mit starken Bildern und Fakten untermauertes, über zehn Jahre intensiv recherchiertes Sachbuch trifft es eher. Unterstützung bekam van Lohuizen von Experten aus Wissenschaft und Politik. Sie haben durch Kartenmaterial und Graphiken ergänzte Gastbeiträge geschrieben, mit denen sie der Ursache für den rasanten Anstieg des Meeresspiegels auf den Grund gehen. So berichtet die dänische Arktis-Spezialistin Dorthe Dahl-Jensen in ihrem Essay von der Entwicklung in Grönland. Erst vor kurzem wurden dort Flüsse unter dem Eis entdeckt, die die 2600 Meter dicke Eisdecke mit 15 cm pro Tag Richtung Ozean bewegen. Wie Forscher des East Greenland Ice-core Projects (EGRIP) an deren Quelle herausgefunden haben, scheint dies – parallel zur Gletscherschmelze - eine Erklärung dafür zu sein, dass der Meeresspiegel in den letzten Jahren schneller gestiegen ist, als angenommen. Die circa 22000 Jahre alten Eissäulen, die hier aus 1500 Metern Tiefe herausgebohrt wurden, bezeichnet van Lohuizen, der das Team bei der Arbeit fotografiert hat, als eine Art „Geschichte des Weltklimas“, da sie Aufschluss über die Struktur des Eises und darüber geben, wann es eine Eis- bzw. Warmzeit gab.

Auch Insider kommen in dem Buch zu Wort, wie etwa Sharif Jamil, der zu den führenden Umwelt-Aktivisten in Bangladesch zählt oder der ehemalige Präsident von Kiribati, Anote Tong. Tong sagt mit Blick auf die Niederlande: Wir sind zwar weit entfernt, aber unser Thema ist das Gleiche. In der Tat liegt das Problem verdammt nah, wie auch van Lohuizen weiß, dessen Land weltweites Ansehen hinsichtlich seiner Deichbau-Ingenieurskunst genießt. Dennoch geht nicht nur er davon aus, dass mit der Erderwärmung bis circa 2050 auch die niederländischen Küstenbewohner nasse Füße kriegen. Traurige Aussichten allemal, wenn nicht sofort gehandelt wird. Und so versteht van Lohuizen sein Buch als einen „Weckruf für alle, die noch schlafen“.

After Us the Deluge. The Human Consequences of Rising Sea Levels. Lannoo, Belgien 2021, 288 Seiten, 323x250, 45,- Euro

Bis zum Frühjahr 2021 war im Amsterdamer Schifffahrtsmuseum die Ausstellung "Rising Tides" zu sehen, die auf den Erkenntnissen des Buches basierte. Danach ist sie weiter gewandert ins Stadtmuseum New York, wo sie nun noch bis zum 22. April 2022 zu sehen ist. Internet: https://www.mcny.org/exhibition/rising-tide. Das (englischsprachige) Video im Anschluss zeigt ein Symposium zum Thema steigende Meeresspiegel. Siehe auch meinen Beitrag für die Deutsche Wellehttps://bit.ly/2VwLG92

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