Mit Quadraten zum Erfolg

Düsseldorf zeigt die Entwicklung Mondrians vom Landschaftsmaler zum Erfinder des Neoplastizismus
Piet Mondrian #13, Komposition mit großer roter Fläche, Gelb, Schwarz, Grau und Blau, 1921, Öl auf Leinwand, 59,5 x 59,5 cm, Kunstmuseum Den Haag

Veröffentlicht in: Luxemburger Wort, 12.1.23

Sechs Cocktailkleider, die den Farbblockstil eines Künstlers aufgreifen. Das waren die Ingredienzien einer Modekollektion, die Yves Saint Laurent 1965 der Welt präsentierte. Wie ein wandelndes Kunstwerk liefen die Mannequins über den Laufsteg und unterstrichen so die Vielseitigkeit eines der größten Künstler des 20. Jahrhunderts: Piet Mondrian. Da war der Niederländer schon gut zwanzig Jahre tot, 1944 in New York an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben. Erst hier in Big Apple konnte Mondrian (geb. 1872 in Amersfoort) sein Können unter Beweis stellen und zu einem gefragten Künstler werden. Hier perfektionierte er den von ihm erfundenen Stil des Neoplastizismus („Neue Gestaltung“), der – angelehnt an Goethes Farbenlehre – auf der Anwendung der Primärfarben Gelb, Rot und Blau in Kombination mit den Nichtfarben Schwarz, Grau und Weiß beruhte. Hier experimentierte Mondrian getrieben von der idealen Bildaufteilung so lange, bis ein Bild die aus seiner Sicht stimmigste Komposition erlangte. Und hier entstanden seine berühmten New York-Ansichten, vier an der Zahl, die heute zu den teuersten des Kunstmarktes zählen. Sein Boogie-Woogie-Bild (Wert bei seinem Erwerb 1997: 37,2 Millionen Euro) musste entsprechend zu Hause bleiben. Zu Hause meint das Kunstmuseum Den Haag, das mit 300 Bildern über die größte Mondrian-Sammlung weltweit verfügt. Andere Gemälde hingegen traten die Reise an den Rhein an, wo sie nun zu einem Gut-Teil die rund 90 Werke umfassenden Mondrian-Schau in der Düsseldorfer Kunstsammlung bestücken. Darunter die in expressiven Gelb- und Rottönen gehaltene „Mühle bei Sonnenschein“, die Mondrian 1908 während eines Aufenthalts in Domburg (Zeeland) gemalt hatte. Damals stand der Maler ganz offensichtlich unter dem Einfluss seines großen Maler-Kollegen und Vorbildes Vincent van Gogh. Auch das schon eine kleine Revolution, war es zu jener Zeit doch nicht üblich, das „nationale Heiligtum“ der Niederlande so befremdlich darzustellen. Das Bild, das seinerzeit von einem Kritiker als „blutüberströmte Mühle (…) vor einem gelben Himmel mit Löchern wie ein Schweizerkäse“ degradiert wurde, ist ein Schlüsselwerk in der Ausstellung, markiert es doch die Wende in Mondrians Werk. Eher einer klassischen Malerschule entstammend, malte Mondrian bis dahin Landschaften und Bauernhöfe rund um Amsterdam, wo er an der Rijksakademie studiert hatte, aber auch auf Zeeland, wo er mehrere Male im Kreise von Künstlern der Haager Schule der vom Impressionismus geprägten naturalistischenMalerei frönte.

Piet Mondrian, Windmühle bei Sonnenschein, 1908, Foto: Kunstsammlung NRW

"Was will ich mit meinem Werk ausdrücken? Nichts anderes als das, was jeder andere Künstler sucht: Harmonie durch das Gleichgewicht der Beziehungen zwischen Linien, Farben und Flächen zu erreichen. Aber nur auf die klarste und stärkste Weise." (Piet Mondrian)

Zunehmende Abstraktion

Ab 1911 hält sich Mondrian in Paris auf, wo er in Kontakt mit dem Pointilismus und dem Kubismus kommt, einer Stilrichtung, bei der der Gegenstand in geometrische Formen zergliedert wird. Während bei Picasso und Braque die Motive noch teilweise zu erkennen sind, ist Mondrians Ziel die vollständige Abstraktion vom Gegenstand. Eine Entwicklung, die sich an seinen Baumbildern nachvollziehen lässt. Im Gegensatz zu seinem „Roten Baum“ von 1908/1910, der noch recht realistisch dargestellt ist, dominieren beim „Blühenden Apfelbaum“ von 1912 die waagerechten und senkrechten Linien, die das Motiv nur noch erahnen lassen. Nicht mehr die Zweige, sondern die Flächen dazwischen gewinnen an Bedeutung. Damals noch in Braun- und Pastelltönen gehalten, wird Mondrians Farbgebrauch immer mehr von satten Farben bestimmt. Auch wendet sich der unter bescheidenen Verhältnissen mit vier Geschwistern aufgewachsene Calvinist der Theosophie zu, einer spirituellen Lehre, deren Anhänger er zeit seines Lebens bleiben sollte und die ihm half, malend „zum Wesen der Dinge“ vorzustoßen. 1917 wird Mondrian Gründungsmitglied von De Stijl, einer niederländischen Kunstbewegung aus Malern, Architekten und Designern, die sich – ähnlich wie das Bauhaus – zu einer geometrisch-abstrakten Darstellung mit reduzierter Farbanwendung bekannte.

Als Ende der 1930er Jahre die Nationalsozialisten anfangen, auch Mondrian-Werke aus öffentlichen Sammlungen als „entartet“ zu entfernen, fühlt sich der Künstler in seiner Heimat nicht mehr sicher. Mit 68 gelangt er 1941 über den Umweg England nach New York. Der junge amerikanische Maler Harry Holtzman, Mitbegründer der Künstlervereinigung American Abstract Artists, hatte ihn eingeladen und ihm ein Atelier besorgt. Bis zu Mondrians Tod unterstützte Holtzman den Niederländer, da dieser von seiner Kunst nicht leben konnte. Ein Grund auch, weshalb Mondrian ihn kurz vor seinem Tod zu seinem Erben bestimmte.

Piet Mondrian, Ausstellungsansichten Kunstsammlung NRW, Fotos: Achim Kukulies; hier v.l.n.r.: Komposition mit Blau und Weiß, 1936, Öl/L, 121,3 x 59 cm, Kunstsammlung NRW, Leuchtturm in Westkapelle, ca. 1910, Öl/L, 135 x 75 cm, Kunstmuseum Den Haag

Der Beat von Piet

Von der Metropole am Hudson River inspiriert, lässt sich der Künstler immer mehr auf die Gestaltung mit Linien ein, die die Architektur der Stadt rasterhaft wiedergeben. Hinzu kommt sein Fable für Jazzmusik jeglicher Art. Ein eigens eingerichteter Raum in der Ausstellung lädt dazu ein, den Rhythmen des Künstlers zu folgen und sich dabei farblich auszutoben – ähnlich wie es Mondrian in seinem Wohn-Atelier gemacht hatte. Wenn er hier nicht gerade seiner Musik lauschte, besuchte der begnadete Tänzer Ragtime- und Swing-Veranstaltungen. Auch seinen Bildern wollte er zu „mehr Boogie-Woogie“ verhelfen, weshalb er zu ungewöhnlichen Mitteln griff. Mit farbigen Papierklebestreifen, die er in New York erstmals entdeckte, klebte er seine Bilder so lange ab, bis die Flächen entstanden, die Mondrian haben wollte. Die abgezogenen Klebestreifen wurden dann zumeist durch Ölfarbe ersetzt. „New York City 1“ (1941) ist eines der Bilder, das auf diese Weise zustande kam, wenngleich es auch noch nicht fertig wurde, wie die zum Teil mit Reißzwecken im Keilrahmen befestigten Klebestreifen erkennen lassen. Seit den 1980er Jahren zählt das Gemälde zu den Paradestücken der Kunstsammlung NRW, weshalb es auch in der Ausstellung den finalen Höhepunkt bildet.

Piet Mondrian, New York City I, 1941, Öl und Papier auf Leinwand, 120 x 115,2 x 2,7 cm © Mondrian/Holtzman Trust, c/o Beeldrecht, Amsterdam, Kunstsammlung NRW, Foto: Walter Klein

Das Bild gehört zu den Aufregern der Schau. So war Kuratorin Susanne Meyer-Büser im Zuge der Vorbereitung auf eine Fotografie von 1944 gestoßen, die das Bild in Mondrians Atelier auf einer Staffelei zeigt – allerdings auf dem Kopf stehend. Bestimmte Indizien, wie etwa Mondrian die Klebestreifen auf der Leinwand fixierte, legen die Vermutung nahe, dass das Gemälde seit seiner ersten Präsentation 1945 im New Yorker Museum of Modern Art „falsch“ herumgezeigt wird. Vielleicht gebe es auch „überhaupt keine richtige oder falsche Ausrichtung“ heißt es nun salomonisch seitens des Hauses. Wer könnte schon genau sagen, wie herum Mondrian an dem Werk gearbeitet habe und ob er es vielleicht selbst immer wieder drehte. Ein „Andersherum“ indes wird es aus konservatorischen Gründen nicht mehr geben, da die Klebestreifen dann abfallen könnten. Das bleibt dem Geschick der Besucher im Umgang mit ihren Mobiltelefonen oder – schlicht und ergreifend – ihrer Fantasie vorbehalten.

„Mondrian. Evolution“, bis 20.2.23, Kunstsammlung NRW (K20), Grabbeplatz 5, 40213 Düsseldorf. Ein Katalog ist für 54 Euro erhältlich. Internet: www.kunstsammlung.de