Mehr als dicke Frauen

In Mons zu sehen: Erste belgische Retrospektive des kolumbianischen Künstlers BOTERO
Fernando Botero, Les époux Arnolfini (Die Eheleute Arnolfini), nach Jan van Eyck, 2006, Ausstellungsansicht, Foto: Cornelia Ganitta

VERÖFFENTLICHT IN: LUXEMBURGER WORT am 11.11.21

In seinem Land ist Fernando Botero Kult. Im Rest der Welt ist er vor allem für seine überzeichneten, voluminösen Skulpturen, um nicht zu sagen „fat ladies“ bekannt. Dass Botero – wie der heute 89-Jährige allgemeinhin genannt wird – weit mehr zu bieten hat, zeigt jetzt eine Ausstellung im belgischen Mons, nahe der französischen Grenze. Nach großen Schauen mit zuletzt Roy Lichtenstein, David LaChapelle und Andy Warhol, ist der Kolumbianer nun der Trekker anlässlich der 2. Biennale für Kunst und Kultur in Mons, die in Fortsetzung der Europäischen Kulturhauptstadt 2015 versucht, die Kultur der knapp 96 000 Einwohner zählenden ehemaligen Bergbau-Stadt nach innen und außen am Laufen zu halten. Mit gutem Erfolg, wie Natacha Vandenberghe, Direktorin des Tourismusverbandes der Region Mons bestätigt: „2015 war für uns echt ein `wake-up call´. Wir haben jetzt eine Kulturstadt, in der das ganze Jahr über was zu tun ist und können so auch den Qualitätstourismus bedienen“. Botero sei das (aktuelle) Zugpferd für viele kulturelle Aktivitäten, die monatelang durchlaufen. „Die Politik hat realisiert, dass Kultur jeden Cent wert ist. Mit großen Kunst-Ausstellungen locken wir die `richtigen´ Besucher nach Mons und Umgebung. Die Restaurants, die anderen Museen und dadurch auch die Bewohner profitieren das ganze Jahr hiervon“. So wundert es nicht, dass eine monumentale Botero-Skulptur in der Fußgängerzone strategisch positioniert ist, um nicht nur die eigene Bevölkerung neugierig zu machen.

Botero-Skulptur in der Fußgängerzone
Fernando Botero (*19. April 1932)
Ausstellungsansicht, Foto: Cornelia Ganitta

Ob (historische) Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen – viele der Werke, die selten in Europa gezeigt werden, stammen aus renommierten Museen (unter anderem dem Guggenheim in New York) oder Privatsammlungen weltweit und sind nun im BAM (Beaux-Arts Museum) zu sehen. Sie werden ergänzt durch fünfzehn Arbeiten aus der eigenen, wenig bekannten Sammlung, die die wichtigsten Inspirationen des kolumbianischen Künstlers zu verschiedenen Themen wie Stillleben, Akte und Genreszenen wiedergeben. Und schließlich sind da noch die üppigen Damen, ohne die es auch in Mons nicht geht. In der Öffentlichkeit behauptete der Maler einmal, nie eine dicke Frau gemalt zu haben. Vielmehr stünden seine Figuren für die Verherrlichung des Lebens. „Ich gebe allem Volumen: einem Tier, einem Mann, einem Pferd, einer Landschaft, was es auch sei. Großzügigkeit und Üppigkeit stehen für mich in enger Verbindung mit der Sinnlichkeit.“ Das mag man ihm gerne glauben, angesichts seiner sinnlich-runden Formgebung.   

Beeinflusst durch die Großen der Kunst

Botero wurde 1932 in der Industriestadt Medellín geboren, wo er unter bescheidenen Verhältnissen ohne Vater aufwuchs. Ein vom Stierkampf begeisterter Onkel schickte Fernando mit 12 Jahren in die Torero-Schule. Doch anstatt mit den Stieren zu kämpfen, zeichnete er sie. Als 16-jähriger fand er Arbeit als Illustrator bei der angesehenen Zeitung "El Colombiano" und gewann einen Kunstpreis in Bogota. Mit dem Geld reiste er nach Europa, wo er vor allem in Italien die Künstler der Renaissance studierte.

In Mexiko beschäftigte er sich später mit den Wandgemälden von Diego Rivera und José Clemente Orozco. Hier auch begann der für ihn typische Stil, als er eine Mandoline malte. «Als ich das Loch im Musikinstrument malte, sah ich, dass es sehr klein war und die Mandoline dadurch grösser wirkte“, was ihn dazu veranlasste über Dreidimensionalität und Perspektive nachzudenken.

Fernando Botero, Federico da Montefeltro (nach Piero della Francesca), 1998, Ausstellungsansicht, Foto: Cornelia Ganitta
Fernando Boteros pralle Damen, auch im: Bathroom, 1989, Ausstellungsansicht, Foto: Cornelia Ganitta

Folter-Skandal Abu Ghraib

Auch die lateinamerikanische Tradition der indianischen Kirchenmalerei in ihrer Farbenpracht fand sein Interesse. Von Picasso, Chagall und Seurat übernahm er die bunte Welt des Zirkus, die auch für ihn zum wiederkehrenden Thema wurde. Der jetzige Ausstellungsparcours führt chronologisch durch dieses reichhaltige Universum, das von präkolumbianischer Kunst und volkstümlicher Ikonographie ebenso inspiriert ist, wie von mexikanischen Wandmalern oder der italienischen Renaissance. Ein separater Raum zeigt sein wohl bedrückendstes Werk, mit dem er 2006 großes Aufsehen erregte: So geben einige Gemälde dort grausame Folterungen an irakischen Kriegsgefangenen durch amerikanische Soldaten im Gefängnis von Abu Ghraib wieder. „Es wurde zur Obsession“, beschrieb Botero sein Empfinden bei dieser Arbeit: „Vierzehn Monate lang habe ich daran gearbeitet und an nichts anderes gedacht“. Das Ergebnis waren 60 Arbeiten, die der Künstler 2007 der Berkeley University in Kalifornien vermacht hat, damit das Gedenken an diesen Skandal in den USA nicht versiegen möge.

Ausstellungsansicht, Foto: Cornelia Ganitta

Wenn die Kunstwelt von dem „Phänomen Botero“ spricht, meint sie jedoch seine unverkennbare, einzigartige Malweise opulenter Körper. Bis heute zählt der Kolumbianer, der zwischen New York, Medellín, Monaco und Norditalien pendelt, zu den international angesagtesten Künstlern, gefragt für Ausstellungen weltweit. Seine Popularität schlägt sich auch in den Preisen nieder, wird er doch auf dem Kunstmarkt immer noch im sechsstelligen Bereich gehandelt.  

Botero – Jenseits der Formen, bis 30.1.22, BAM (Museum der Schönen Künste), Rue Neuve 8, 7000 Mons/Bergen. Informationen im Internet unter: www.bam.mons.be

Die Berichterstattung über Mons wurde u. a. mit der internationalen Bahngesellschaft Thalys möglich gemacht. Mit diesem Zug ist Mons schnell und bequem von Essen aus, über Köln, Aachen, Lüttich und Brüssel zu erreichen. Bei der Fahrt ist es immer wieder ein Erlebnis, in die samtroten Sessel einzutauchen, die es nur hier gibt. Wie im Kino! Internet: https://bit.ly/3aZkX9a

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