ANTON CORBIJN im Interview über "Peter den Großen"

Die Ausstellung „Untold Stories“ zeigt das Beste des verstorbenen Fotografen Peter Lindbergh
Peter Lindbergh, Anton Corbijn, Paolo Roversi, Selfie by: Anton Corbijn

Veröffentlicht: PHOTONEWS, 07/08-2020

Die Peter Lindbergh-Ausstellung „Untold Stories“ wird derzeit – Corona sei Dank - zeitgleich im Düsseldorfer Kunstpalast und im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg gezeigt. Ursprünglich hätte dies nacheinander erfolgen sollen. Da die Ausstellung in Düsseldorf aber gerade erst mit großem Erfolg angelaufen war, um dann, kurz nach Ausbruch der Pandemie wieder zu schließen, wurde vom Lindbergh-Studio in Paris kurzerhand eine zweite Serie mit Prints angefertigt, die jetzt eine überlappende Präsentation ermöglicht.

Von Machern und Medien wird die Schau als das „Vermächtnis“ des im September 2019 verstorbenen Fotografen beschrieben. Nicht nur bezogen auf diese letzte Ausstellung vor seinem Tod überhaupt, sondern auch bezogen auf den Umstand, dass es die erste von Lindbergh selbst kuratierte und somit persönlichste Schau ist. Keine Retrospektive sollte es werden, dafür sei er nicht alt genug, befand der Fotograf zu Beginn der Planung. Ein Best of, bestehend aus 140 Arbeiten vorwiegend in schwarz-weiß ist es am Ende geworden. Eines, das weit über das Sujet der Mode hinausreicht. So sind neben meterhohen Fotos von Schauspiel- und Modeikonen kaum oder nie gezeigte Stillleben, Tier- und Landschaftsmotive seltsam gereiht, hinter verspiegeltem Glas zu sehen. Mit einem erstmals präsentierten Video aus dem Jahr 2013 schließlich endet die Schau. Es trägt – makaber genug – den Titel „Testament“ und zeigt dreißig Minuten lang das Gesicht eines zum Tode verurteilten US-Häftlings. Eine völlig unbekannte Arbeit im Werk von Lindbergh, die Selbstreflexion, Ausdruck und Freiheit zum Thema hat.

mit Peter Lindbergh, Selfie by: Anton Corbijn

Einer, der Lindbergh – wenn auch nur kurzzeitig, so doch intensiv – auch gut kannte, ist der niederländische Fotograf Anton Corbijn. Cornelia Ganitta hat ihn über seine Beziehung zu dem Wahlfranzosen befragt.

Cornelia Ganitta: Herr Corbjin, Sie haben die Schau im Kunstpalast gesehen und werden – wenn Corona es zulässt - im Dezember zur Eröffnung der 3. deutschen Station nach Darmstadt fahren. Was war Ihr Eindruck in Düsseldorf?

Anton Corbijn: Es ist eine sehr beeindruckende Ausstellung, nicht nur bezüglich Ihres Inhalts, sondern auch bezogen auf das große Format der Bilder, womit ich zunächst etwas Mühe hatte. Wenn alles sehr groß ist, ist es letztlich schwieriger, als mit einem einzelnen Groß-Format aus dem Rahmen zu fallen. Die beiden letzten Räume sind diejenigen, die sich am meisten von zum Beispiel Peters Ausstellung vor vier Jahren in der Kunsthalle in Rotterdam abgrenzen, weil man hier spürte, dass Peter auch ein politisches Statement machen wollte.

„Ich weiß jetzt, wer ich bin“ soll Lindberghs Fazit nach der Fertigstellung gewesen sein. Wissen Sie es nun auch … wer er war?

Ich glaube, dass es – im Gegensatz zu einem Maler - besonders schwierig für einen Fotografen ist, sein eigener Kurator zu sein. Fotografen haben oft enorm viele Arbeiten, aus denen ausgewählt werden muss. Das wäre anders, wenn jeder Shoot in einem Foto zusammenkäme, aber das ist beinahe nie der Fall. Peter hat in diese Ausstellung unglaublich viel Zeit investiert. So viel ich weiß, hat er sechs Mal von vorne angefangen, sie einzurichten. Er war davon besessen. Es ist, als wollte er damit ein finales Statement setzen. Als ob er gewusst hätte, dass diese Schau die letzte überhaupt in seinem Leben werden würde. Man fühlt sofort seine Leidenschaft für die Sache, aber auch, dass er genau das rüberbringen wollte. Und dann das Video im letzten Raum … als ob er sich schuldig dafür gefühlt hätte, dass er von so viel Schönheit umgeben war. Der dem Tod geweihte Inhaftierte sieht ihm sogar erschreckend ähnlich, finde ich. 

Die Eröffnung, so scheint´s, war ein Treffen des Who-is-Who aus Rock und Pop, Film, Mode und natürlich Fotografie. Neben anderen VIP waren auch ihre Freunde Herbert Grönemeyer und Wim Wenders dabei. Wie haben Sie das empfunden?

Ich war eigentlich ein bisschen enttäuscht über die geringe Aufmerksamkeit, die ihm während der Eröffnung seitens der Modewelt zuteilwurde. Ich hatte mehr Leute aus der Szene erwartet … aber gut. Herbert kannte Peter nicht wirklich, aber Wim Wenders war ein guter Freund von ihm. Peter hatte auch Fotos gemacht, auf der Basis seiner Filme. Herbert war zeitweilig da, weil er gern sein Werk sehen wollte, aber auch, weil ich da war und wir einander lange nicht gesehen hatten.

In seiner Trauerrede – die im Begleitband zur Ausstellung abgedruckt ist – berichtet Wim Wenders unter anderem von einigen Begegnungen mit Lindbergh. Haben Sie auch etwas Besonderes mit ihm erlebt, das Sie hier erzählen können?

Ich habe Peter erst 2016 persönlich getroffen, kannte ihn also nicht sehr lang. Aber wir sahen einander so oft wie möglich und er wurde binnen kürzester Zeit zu einem sehr engen Freund und einem meiner wenigen Fotografen-Freunde. Er war sehr interessiert an meinem Werk und kam, zusammen mit Paolo Roversi zu einigen meiner Ausstellungen, unter anderem 2018 in das Bucerius Kunst Forum in Hamburg. Peter, Paolo und ich haben über zukünftige Shows gesprochen, mit Werk von uns dreien. Damit waren wir zu Beginn des letzten Jahres schon beschäftigt. Hoffentlich wird es trotz allem noch zustande kommen. 

Lindbergh war ein bodenständiger, bescheidener Typ, der gut mit Menschen konnte. Auch Sie gelten als sehr bescheiden…

Stimmt. Peter war bescheiden, aber er wusste auch sehr gut, was sein Wert war. Er war vor allem ein fantastischer Mann, der jedem gegenüber, den er fotografierte und den er kennenlernen wollte, Liebe ausstrahlte. Auch ich bin bescheiden bis zu einem gewissen Grad. Aber das hat mit meiner protestantischen Herkunft zu tun. Nur, wie echt das ist, das weiß ich selber nicht. Haha.

Welche Fotos oder auch Stilrichtung von Peter Lindbergh mögen Sie persönlich am meisten bzw. spricht Sie am meisten an?

Ich bin vernarrt in seine Portraits und die Fotos, die am Meer oder in der Wüste am Ende eines Tages entstanden sind.

Was wird von ihm bleiben?

Peter hat die Modefotografie verändert und das nimmt ihm keiner. Und er hat die Fotografie wieder sehr menschlich gemacht, weshalb sich nicht nur Modeliebhaber von ihr angesprochen fühlen. Ich denke, er ist wirklich ein ganz Großer seines Fachs.

Auf ein Wort zu Ihnen, Herr Corbijn: Sie sind im Mai 65 geworden, könnten sich also zur Ruhe setzen. Allem Anschein nach, ist davon aber keine Rede. Im Gegenteil: Derzeit sind zwei Bücher in der Mache, eines davon handelt von Depeche Mode und wird bei Taschen erscheinen. Das zweite entsteht im Rahmen einer großen Ausstellung, die für den Herbst in dem belgischen Badeort Knokke-Heist geplant ist. Darin soll es erstmals um Modefotografie gehen. Eine Schau, die sie auch selbst kuratieren. Fühlen Sie sich durch Lindbergh hierzu inspiriert?

Ich fühle mich immer durch Peter inspiriert und muss gestehen, dass ich ihn sehr vermisse, trotz unserer erst kurzen Freundschaft. Aber diese Ausstellung hat damit nichts zu tun. Ich wollte einfach meine Fotografie in einem anderen Kontext präsentieren als bisher, zumal ich schon seit Jahren für die VOGUE fotografiere.

“Untold Stories” im Kunstpalast Düsseldorf (5.2.20 bis 27.9.20) und im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (vom 20.6.20 bis 1.11.20). Anschließend wandert die Ausstellung weiter in das Hessische Landesmuseum Darmstadt, wo sie vom 12.01.21 bis 18.04.21 zu sehen sein wird.

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